Am 8. Mai 2009 feierte Anna Sprecher-Racine („Antschi“) ihren 80. Geburtstag in ihrer geliebten Heimat St. Antönien. Nicht nur für die Jubilarin war das damals ein wichtiger Tag.
Unsere Nachbarin in Maisprach, die uns damals noch wohlgesinnt war, kümmerte sich um unsere vier Katzen. (Hühner und Hund kamen erst ein Jahr später, wie auch unsere Probleme mit ihr.) So fuhren Marianna und ich unbeschwert ins Prättigau zur Geburtstagsfeier ihrer Mutter, Antschi. Wie sehr freute ich mich auf das Wochenende in St. Antönien. Denn ich liebte die Berge, die direkte Art der Menschen und vor allem auch deren Sprache mit ihrem zum Teil recht eigensinnigen Wortschatz.
Obwohl, ich hatte lange Zeit meine liebe Mühe, die Prättigauer wirklich zu verstehen. Marianna und ich waren zwar damals bereits 14 Jahre zusammen, aber als Lehrerin war sie berufsbedingt in ihrer Sprache schon recht angepasst. Antschi war da ein anderes Kaliber. Sie war eine stolze St. Antönierin, die ihren urchigen Dialekt hegte und pflegte. Ich erinnere mich an die Telefongespräche, die Marianna mit ihrer Mutter führte, als wir noch in der Region Basel wohnten. Ich sass meistens neben Marianna auf dem Sofa, lauschte leicht überfordert Antschis Erzählungen und schätze mich jeweils glücklich, wenn ich ein paar Wörter wiedererkannte, überglücklich wenn ich sogar deren Sinn erfasste. Aber eigentlich war das alles gar nicht so wichtig, ich fand schon alleine Antschis lieblichen „Singsang“, ihre typische Sprachmelodie, einfach nur schön.
Und so war in mir über die Jahre hinweg der Wunsch herangewachsen, meinen Lebensmittelpunkt ins Prättigau zu verlegen. Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen. Marianna sträubte sich. Sie meinte, dass man im Prättigau verhungern würde, weil man gerade als Frau mit höherer Bildung kaum vernünftige und vor allem gerecht bezahlte Arbeit fände. (Sie hat übrigens Recht behalten, was den Job anbelangt. Aber am Verhungern sind wir noch nicht.)
Zurück zum 8. Mai 2009. Nach einem üppigen Mittagessen mit der erweiterten Familie Racine im Restaurant Madrisajoch machten Marianna und ich einen kleinen Verdauungspaziergang das Wiesenbord hoch, entlang dem Junker-Skilift. Der Schnee war grossflächig weggeschmolzen und die ersten Soldanellen und Krokusse wagten sich hervor. Ein Bächlein rauschte sanft den Hang hinunter. In diesem Moment war es um Marianna geschehen und ihr wurde schmerzlich bewusst, was sie all die Jahre im Unterland vermisst hatte.
Danach waren wir uns (endlich) einig und fest entschlossen, unseren Wohnsitz ins Prättigau zu verlegen.